Tag 10 - Eine Geschichte :)

Hallo ihr Lieben! :)

Heute ist es recht spät geworden, das tut mir leid. Ich will auch gar nicht länger reden, sondern euch einfach die Geschichte lesen lassen. Mein ganz besonderer Dank geht an Veri, danke, dass ich mir deine Ideen und Gedanken leihen durfte, um diese Geschichte zu verfassen. Ich denke, du wirst deinen Chrarakter wieder erkennen. ;)

 

Also... bitte schön:

 

Ein Engel

Klirrende Kälte lag über der Welt. Es schien, alles hielte den Atem an. Die häuslichen Menschen zogen sich in ihre Wohnstätten zurück, die Kälte verunsicherte sie. Sie zeigte nämlich umso mehr die Kälte in den Herzen der meisten von ihnen. Und nun, wo die Luft so rein war, so getränkt von Stille, da war diese Kälte in den Herzen noch viel weniger zu verstecken möglich.

In dieser klirrenden Kälte war also niemand unterwegs. Bis auf ein kleines Mädchen. Sie hatte sich einen dicken Mantel übergeschwungen und stampfte durch die Schneeschicht. Dort, wo sie hintrat, hinterließen ihre Stiefel Abdrücke. Sie hinterließ Abdrücke. Sah man sie am Fenster, wand man sich meist schnell ab. Man wollte es nicht sehen - dieses einsame, merkwürdige Mädchen, mit dem man nur die allernötigsten Worte tauschte. Obwohl diese Gesellschaft als gut galt, gab es trotzdem Außenseiter. Und man musste sich nicht anstrengen, um zu erkennen, dass sie einer war. Das wusste jeder im Dorf. Und deshalb mied man das Gespräch mit ihr.

Doch, würde es einer dieser wagen, sie länger als drei Sekunden anzustarren, würde er schon bald dahinter kommen, dass dieses Mädchen mehr war als nur ein Störenfried, ein ungern gesehener Schmutzfleck auf der ansonsten weißen Weste des Dorfes. Würde man länger hinschauen, würde man ein Mädchen erkennen, nicht sehr hübsch, mit langer Nase, einem etwas zu spitzem Kinn und fast schwarzem Haar. Und würde man ihr nicht gleich aufgrund dieser Schwärze eine Allianz mit dem Teufel unterstellen, hätte man vielleicht auch noch Zeit, in die Augen des Mädchens zu blicken. Sie waren sturmgrau. Und sah man länger hin, schien es fast, als könnte man den Sturm, der in der Seele dahinter brodelte, spüren. Da waren so viele Gefühle, da war Trauer und Wut und Verzweiflung und Glaube und Kampfgeist - Aber bevor man all dies richtig deuten und begreifen könnte, hätte sich das Mädchen vermutlich schon selbst abgewendet. Es wollte nicht, dass jemand sah, was ihre Augen so grau färbte, was dieser Welt für sie die Farbe nahm.

Man würde das Mädchen sicher auf ca. 15 Jahre schätzen und sich fragen, warum man so selten ihre Familie sieht. Wenn man den hinschauen würde.

 

Das Mädchen, Vilja mit Namen, ging durch das Dorf. Sie wirkte isoliert, als wäre eine dicke Watteschicht um sich herum und als würde sie die Realität ein wenig verzerrt wahrnehmen.

Sie war auf dem Weg zum Wald. Ihrem Lieblingsort. Wenn man sie fragen würde, wieso, würde sie vermutlich sagen: „Ich meide Menschen.“ Aber es war mehr als das. Die Natur, die Reine und Wahrheit erfüllten sie immer aufs Neue mit neuer Lebensenergie, vor allem im Winter. Sie hatte nicht viele Freunde, fand dieser aber auch gleichzeitig nicht schlimm. Jeder Ast und jeder Stein war ihr Freund, und jede Schneeflocke ihre Freundin. Was brauchte sie mehr?

Oh doch, eines brauchte sie noch, sie trug es immer in einer Tasche mit sich. Könnte man hinein schauen, sähe man eine Schatulle mit Bleistiften und einen großen Zeichenblock. Denn das war es, was sie liebte: Das Malen. Es erfüllte sie, wie nichts sonst. Wenn sie sich sonst nicht in der Welt ausdrücken konnte, so konnte sie durch ihre Bilder und Zeichnungen doch ihre Wirklichkeit ausdrücken.

Vilja setzte sich auf einen Baumstamm. Er war schon voller Moos, doch dieses war wiederum von Schnee bedeckt. Jedes Geräusch wurde durch den Teppich aus Puderzucker gedämpft, aber sie verspürte ja auch gar nicht das Bedürfnis, laut zu sein. Einfach allein mit der Natur zu sein, war heilend und wohltuend für ihre geschundene Seele.

 

***

 

Doch ganz allein war sie nicht. Hinter einem Baum stand ein Wesen, es beobachtete sie schon eine ganze Weile. Ich nenne es Wesen, weil es kein Mensch war. Vielmehr schwebte dort etwas Übersinnliches, ein Geschöpf, das nicht an Raum und Zeit gebunden war und sich doch gerade in den Grenzen dieser bewegte. Wir Menschen würden es wahrscheinlich einen Engel nennen. Und wenn man sich seine körperliche Gestalt, dann war dies durchaus berechtigt. Seine fedrigen, feingliedrigen Flügel ragten unübersehbar gen Himmel. Und ansonsten sah er gar nicht so anders aus wie ein Mensch. Hätte jemand einen Blick auf ihn erhaschen können, hätte er die leicht gebräunte, dunkle Haut sehen können, genauso wie die braunen Strubbelhaare und die braunen Augen, die gerade aufmerksam auf das Mädchen im Wald gerichtet waren.

Der Engel beobachtet das Mädchen nicht zum ersten Mal. Genaugenommen schon ihr ganzes Leben lang. Er kannte ihre Geschichte. Und doch waren da Momente, die er nicht verstand. So zum Beispiel dieser:

Jedes Jahr zur selben Zeit setzte sie sich auf einen bestimmten Stein und zeichnete auf ihrem Zeichenblock ein Bild von ihrer Umgebung. Der Engel fand es jedes Mal wunderschön, doch sobald sie fertig war, zog sie ihr Feuerzeug heraus und verbrannte das Bild. Bis nur noch winzige Aschepartikel übrig waren, die sich im Wald verteilten und schnell vergessen wurden. Der Engel hatte dieses Mädchen nie wirklich begriffen. Er kannte sie eigentlich in- und auswendig, aber ihre Gedanken, die kannte er nicht.

 

Und deshalb hatte er beschlossen, das endlich zu ändern. Ganz leise sagte er: „Ich werde dich jetzt besuchen, erschreck dich bitte nicht.“ Als stummer Betrachter kann ich natürlich nicht wissen, ob das Mädchen ihn hörte. Vielleicht war es auch nur eine Ermutigung an ihn selbst, sein Vorhaben auch wirklich durchzusetzen. Er ergab sich nun vollständig den Gesetzen von Raum und Zeit und trat auf das Mädchen zu. Ganz sachte legte er ihr eine Hand auf die Schulter.

Vilja erschreckte sich nicht. Sie sah nur ganz langsam zu ihm auf. Und wand nicht den Blick ab, als er ihre Augen betrachtete. Sie spürte, dass etwas von ihm ausging. Sie konnte es nicht genau benennen, aber es war etwas Warmes und Strahlendes. „Hallo“, sagte sie. Bei jedem anderen Mensch wäre sie vermutlich sofort gegangen, aber offenbar wusste sie instinktiv, dass sie keinen Menschen vor sich hatte. Der Engel lächelte und erwiderte: „Hallo. Ich bin Finn. Darf ich mich setzen?“ Vilja nickte und Finn setzte sich neben sie auf den Stein.

Eine Weile waren beide stumm und bewunderten die Landschaft. Dann begann Vilja zu sprechen: „Ich habe das Gefühl, dich zu kennen. Aber nicht aus dieser Welt.“ Sie sah Finn an. Der Engel antwortete nicht direkt. Er sagte lediglich: „Ich beobachte dich schon dein Leben lang. Vielleicht hast du meine Gegenwart gespürt. Ich wünsche mir jedenfalls immer, dass du mich in deinen dunkelsten Stunden spüren konntest, auch wenn ich mich dir nicht zeigen konnte.“ Und da war wirklich eine Erinnerung in Viljas Kopf. Sie war noch sehr klein gewesen, vielleicht sieben Jahre alt, da hatte sie schon einmal eine ähnliche Präsenz wahrgenommen. Es fühlte sich genauso an wie jetzt: Strahlend, warm. Sie hatte sich sofort geborgen gefühlt.

Aus einem Impuls heraus lehnte sie sich an die Schulter des Engels und dieser legte ihr sogleich einen Arm um die Schulter. Es hatte etwas sehr Vertrautes, fast Familiäres, wie sie das so saßen. Finn konnte förmlich spüren, wie ein Klumpen in ihr ganz allmählich schmolz. Die Wärme seiner Anwesenheit brachte ich zum Schmelzen.

Doch die Seele des Engels war noch nicht von Ruhe gefüllt. Da brannten noch Fragen, die es zu beantworten galt. Er sah das Mädchen an und wand sich ihr direkt zu. Sofort verstand das Mädchen und setzte sich gerade hin. Finn wusste nicht recht, wo er anfangen sollte: „Ich habe so viele Fragen… Wieso verbrennst du deine Zeichnung aus dem Wald immer?“ Vilja legte den Kopf leicht schief. Bei jedem anderen hätte sie eine kurze, möglichst knappe Antwort gegeben. Doch jetzt wählte sie ihre Worte mit Bedacht: „Ich heiße die kalte Jahreszeit willkommen. Ich zeichne sie und möchte ihre Schönheit festhalten - aber man kann sie nicht festhalten. Sie ist vergänglich, so wie das Blatt Papier. Nichts währt ewig. Und außerdem würde es ohnehin misslingen, diese wahre Schönheit auf ein Blatt Papier zu zwingen. Die Natur ist frei und ich würde es mir nie anmaßen, etwas zu erschaffen, was den Anspruch erhebt, es würde die Natur widerspiegeln. Denn nichts kann die Natur so perfekt wie sie selbst darstellen.“ Hoffnungsvoll blickte sie in die braunen Augen ihres Gegenübers. Ob er sie wohl verstanden? Als sie ein Lächeln auf seinen Lippen erkannte, hatte sich der Klumpen in ihrer Seele endgültig aufgelöst. Der Engel sagte: „Danke. Weißt du, über all die Jahre hatte ich immer das Gefühl, dich nie ganz und wirklich zu verstehen. Danke, dass du mir deine Gedanken offenbarst. Ich weiß, wie schwer es für dich ist.“ Vilja ergriff seine Hände: „Mit dir ist es gar nicht schwer! Wirst du bei mir bleiben?“

Wehmütig antwortete der Engel: „Ich wünschte, ich könnte es. Aber dies ist nicht meine Welt. Es ist deine Welt, Vilja. Aber selbst wenn du mich nicht siehst - ich bin immer da. Egal, wo du bist, egal, was du tust - vergiss nie, dass ich dich beschütze, dass meine Hand auf deiner Schulter ruht.“ So legte wie gesagt die Hand auf ihre Schulter. Vilja nickte, aber auch wenn die Wehmut sie überkam. Da wäre noch so viel mehr gewesen, worüber sie gerne gesprochen hätte.

Beide standen auf und Finn zog sie in eine innige Umarmung. Dann sah er ihr tief in die Augen. Sie waren schon viel heller und offener als zuvor. Ganz langsam küsste er ihre Stirn und flüsterte: „Ich bin immer da, Vilja.“ Und dann wandte er sich zum gehen.

„Eine letzte Frage noch!“, rief Vilja. Der Engel drehte sich um. „Gibt es einen Himmel?“ Finn lächelte: „Oh ja. Und wenn es ein Mensch verdient hätte, dort hinzukommen, da wärst du es.“ Und mit diesem Wort verblasste er. Wie ein Windhauch verschwand er ganz langsam.

Vilja hob noch die Hand zum Abschied. Nun war sie wieder allein. Aber etwas hatte sie verändert. Sie war wieder offener, glaubte wieder an das Gute in jedem Menschen. Und irgendwie hatte sich die Gewissheit in ihrem Kopf gebildet, dass sie dieses Weihnachtsfest endlich einmal nicht mehr allein verbringen würde...

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Veri (Mittwoch, 11 Dezember 2013 08:00)

    Wow, ich bin echt baff, wie du mit dieser simplen Idee meinerseits einen komplexen Charakter auf erstehen lassen konntest. Auch ihr Name klingt toll. Vilja, irgendwie geheimnisvoll, so wie sie selbst.
    Die gesamte Geschichte ist sehr gut gelungen und am liebsten würde ich noch weiter lesen ;)
    Hoffentlich kommentieren wenigstens zu diesem Text ein paar mehr Leute.
    Du hast es verdient!